10. September 2017

Das Zwischenhoch

Südtirols Arbeitsmarkt feiert aktuell einen historischen Beschäftigungsrekord. Notwendig aber ist die Frage nach dessen Nachhaltigkeit.

Das Muster wiederholt sich jedes Jahr: Je nachdem, wann die Erntezeit beginnt, fällt auch das Beschäftigungshoch am Südtiroler Arbeitsmarkt entweder auf den Spätsommer oder auf den Frühherbst. Der August 2017 brachte im Schnitt die stolze Zahl von 210.932 Arbeitnehmern. Dieser Beschäftigungsrekord könnte im September sogar noch getoppt werden.

Die Jubelmeldungen überlagern allerdings die weniger schönen Seiten. In Südtirol sind dies die immer noch leicht ansteigende Zahl an Arbeitslosen, der hohe Anteil an befristet Beschäftigten im Vergleich zu Italien, Deutschland, Österreich, Schweiz, aber auch durchwachsene Arbeitsbedingungen in Bezug auf körperliche und psychische Belastungen, wie vom AFI in einer repräsentativen Umfrage jüngst erhoben.

Zudem liegt es auf der Hand, dass ein überhitzter heimischer Arbeitsmarkt es immer schwieriger macht, Fachkräfte zu finden, bis zu dem Punkt, dass sich Unternehmen und Körperschaften gegenseitig Arbeitskräfte abwerben.  Es gibt noch einen weiteren Anlass, sich nicht vom aktuellen Stimmungshoch täuschen zu lassen.

Südtirols Arbeitsmarkt wächst vor allem quantitativ, wobei sich der Beschäftigungszuwachs auf Sektoren mit niedriger Arbeitsproduktivität konzentriert. Gesamtwirtschaftlich gesehen könnte man sagen: Wir wachsen momentan, aber falsch. Würde sich die Beschäftigungsdynamik des letzten Halbjahres (+3,4%) im selben Rhythmus fortsetzen, so müsste das Südtiroler BIP unter Annahme einer konstanten Arbeitsproduktivität im selben Ausmaß wachsen. Oder andersrum betrachtet: Jedes Wirtschaftswachstum von weniger als +3,4% führt unter diesen Annahmen zwangsläufig zu einer Abnahme der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität.

„Erfolge am Arbeitsmarkt sind als solche zu werten, wenn sie nicht mit einer Absenkung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität einhergehen“.

Hinzu kommt noch der digitale Wandel. Zwar ist anzunehmen, dass sich dieser in Südtirol aufgrund der kleinbetrieblichen Struktur und der Ausrichtung auf Sektoren mit hohem Personaleinsatz weniger stark auf das Wirtschaftsgefüge auswirkt als anderorts. Wenn aber weniger Arbeitsplätze von Maschinen und Robotern ersetzt werden, so heißt dies ein zweites Mal, dass die Gesamtproduktivität zurückfällt. Südtirol kann unter allen Regionen Europas weiterhin an vorderster Front mitspielen, aber ohne eine Veränderung der Wirtschaftsstruktur und der Organisationskultur wird es nicht gehen.

Zuerst erschienen in „Die Neue Südtiroler Tageszeitung“ vom 09. September 2017

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