06. April 2013

8,50 € Mindeststundenlohn für Südtirol?

Stefan Perini ("Wirtschaft Quer")

Es ist nur ein Gedankenspiel. Ausgelöst von Meldungen, unterschiedlicher Natur, die sich mich zu einer Überlegung zusammenschmiedet haben.

Der Auslöser, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: Er fordert für Deutschland einen gesetzlichen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro netto pro Stunde. Der Bundesrat hat Anfang März dem Entwurf, der für faire Löhne in Deutschland sorgen soll, zugestimmt. Nun liegt es am Bundestag, den Weg für menschenwürdige Mindestlöhne zu ebnen.

Die zweite, die Südtiroler Caritas-Schuldnerberatung: Sie schreibt in ihrem Jahresbericht 2012, dass immer mehr Menschen angesichts der sinkenden Reallöhne Schwierigkeiten hätten, die steigenden Lebenskosten zu bewältigen. Und weiter noch: Im Jahr 2012 haben über 1.300 Personen mit finanziellen Schwierigkeiten die Schuldnerberatungsstelle aufgesucht – 14 Prozent mehr als 2011. Zugegeben, unzureichendes Einkommen ist nicht der ausschließliche Grund für die Überschuldung – häufig sind finanzielle Schieflagen auch bedingt durch Schicksalsschläge wie Scheidung oder gescheiterte Selbstständigkeit. Wie auch immer, geringes oder fehlendes Einkommen schlägt mit 38% am stärksten zu Buche.

Die dritte, die Vinzenz-Konferenz: Sie bestätigt diese Tendenz. Aus dem Tätigkeitsbericht 2012 entnimmt man, dass die Zahl an Bedürftigen um 20 Prozent zum Vorjahr zugenommen hat. Viele Familien beklagen, dass sie nicht mehr das notwendige Geld aufbringen, das Allernötigste zu kaufen, sprich Medikamente, Miete, Heizung oder Strom.

Wie steht es um die „Neue Armut“ in Südtirol wirklich? Ist sie eine Folge der auseinanderklaffenden Einkommensschere zwischen Arm und Reich? Inwiefern schafft es das Südtiroler Sozialsystem noch, diese Entwicklungen aufzufangen?

Die kürzlich vom Landesinstitut für Statistik veröffentlichten Zahlen zur Verteilung der Bruttoentlohnungen in der Privatwirtschaft (also ohne Landwirtschaft und dem Öffentlichen Sektor) zeigen auf, dass ein Fünftel der Vollzeit-Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft im Jahr 2010 eine Jahresbruttoentlohnung von weniger als 20.865 € bezogen haben. Legt man 1.800 Arbeitsstunden pro Jahr und die IRPEF-Sätze 2010 zugrunde, so liegt dies am Grenzwert der deutschen Mindestlohnforderung.

Glücklicherweise gleicht das Umverteilungssystem in Südtirol heute noch einiges aus, um das Phänomen der „Neuen Armut“ in Grenzen zu halten und Lebensqualität auf einer breiten Basis zu garantieren. Eines muss aber klar sein. Wer vor dem Hintergrund der aktuellen schwierigen Situation Vieler pauschal das Südtiroler Sozialsystem anprangert riskiert, die Mindestlohn-Debatte zu ernten. Und das wäre ein Spiel mit unsicherem Ausgang.

 

Dieser Artikel ist erstmals in der „Neuen Südtiroler Tageszeitung/Sonntag“ erschienen.

Hier geht’s zum Zeitungsausschnitt.

 

 

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