21. April 2022

Der Arbeitsmarkt lächelt, doch der Geldbeutel weint

Foto: Pixabay

AFI-Barometer – Frühjahr 2022

Die Pandemie ist noch nicht überwunden, da steht schon das nächste Schreckgespenst vor der Tür: die Energiekrise. Die Südtiroler Wirtschaft steht zu Jahresauftakt 2022 im Verhältnis solide da, doch die Unsicherheitsfaktoren auf internationaler Ebene sind ausgeprägt wie selten zuvor – Stichwort geopolitische Konflikte, Lieferengpässe, Energiepreis-Schock. Vor dem Eindruck des Ukraine-Kriegs bricht die Stimmung bei Südtirols Arbeitnehmer/Innen in der März-Befragung einmal mehr ein. „Was wir allerdings zurzeit beobachten ist ein zweigeteiltes Stimmungsbild“, unterstreicht AFI-Direktor Stefan Perini. „Die Indikatoren, welche die Tendenzen am Arbeitsmarkt beschreiben, zeigen nach oben, jene, welche die wirtschaftliche Situation der Familien abbilden, nach unten. Das Problem ist also weniger der Arbeitsmarkt, sondern die Brieftasche der Arbeitnehmer-Familien.“

Prioritäten ändern sich schnell in Zeiten wie diesen: Stand im Winter die Pandemie in der Liste der drängendsten Probleme noch ganz oben, noch vor Lieferengpässen und Inflation, heißt die Reihung nur 3 Monate später Ukraine-Krieg, Inflation, Lieferengpässe – die Pandemie kommt in den Top-3-Themen gar nicht mehr vor. Vor diesem Hintergrund haben alle führenden internationalen Forschungsinstitute ihre Wachstumsprogosen 2022 nach unten revidiert. Aufgrund der hohen Unsicherheit weisen mittlerweile fast alle standardmäßig sowohl ein Basis- als auch ein Risikoszenario aus. Im Basisszenario rechnet das IMK Berlin mit folgenden Wirtschaftswachstumsraten für 2022: Euroraum: +2,6%; Deutschland: +2,2%; Österreich: +2,7%; Italien: +2,8%.

DER JAHRESAUFTAKT: Lohnabhängige Beschäftigung auf historischem Höchststand

Südtirols Endbilanz 2021 kann sich durchaus sehen lassen: Die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten hat gegenüber 2020 zugenommen (+1,5% im Jahresschnitt). Die Arbeitslosenrate bleibt mit 3,8% niedrig. Südtirols Außenhandel hat kräftig zugelegt (Exporte: +16,4%, Importe: +23,7%). Die Nächtigungsbilanz verbessert sich (+9,4% zu 2000), bleibt allerdings noch deutlich (-29,4%) unter dem Ergebnis 2019 zurück. Die neue Gefahr ist die Inflation. Wenngleich der Jahreswert 2021 mit 2,5% noch moderat ausfällt, zieht die Teuerungsrate der Verbraucherpreise seit August 2021 auch in Bozen deutlich an und erreicht im März 2022 satte 7,8%. Positiv: Im 1. Quartal 2022 hat die lohnabhängige Beschäftigung in Südtirol ihren historischen Höchststand erreicht. Mit 215.400 Personen im Schnitt übertrifft sie das Vorkrisenniveau 2019 um +2,4%.

DIE STIMMUNG: Zweigeteilte Situation

Vor dem Eindruck der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar bricht die Stimmung der Südtiroler Arbeitnehmer ein weiters Mal deutlich ein. Der Index, welcher die Erwartungen der Arbeitnehmer/Innen betreffend die wirtschaftliche Entwicklung in Südtirol in den nächsten 12 Monaten abbildet, sinkt auf einen Wert von -19 ab (von -2 im Winter 21/22). Die Fähigkeit der Arbeitnehmer, mit dem Einkommen ein Auskommen zu finden, verschlechtert sich um 5 Indexpunkte. Aktuell geben 34% der Arbeitnehmer/Innen an, dass ihre Familie nur mit Schwierigkeiten über die Runden kommt, weil das Geld nicht reicht. Auch die Indikatoren, welche die finanzielle Situation der eigenen Familie bzw. die Sparmöglichkeiten abbilden, haben sich eingetrübt.

Besser läuft es bei den Indikatoren, die den Arbeitsmarkt abbilden: Die Erwartungen hinsichtlich der Arbeitslosigkeit in Südtirol verbessern sich. Das konkrete Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, wird noch immer mit „moderat“ bewertet. Die Perspektiven, gegebenenfalls einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden, verbessern sich.

DIE ARBEITSZUFRIEDENHEIT: Bei 4 von 6 Aspekten mehrheitlich zufrieden

Im Themenblock der Frühjahrsausgabe des AFI-Barometers wurde Südtirols Arbeitnehmer/Innen die Frage gestellt, wie zufrieden sie mit ausgewählten Aspekten der Arbeit seien: Mit diesen Aspekten sind sie mehrheitlich zufrieden: Ansehen des Unternehmens (67%), Position des Arbeitnehmers in der Gesellschaft (62%), Führungsstil des Vorgesetzten (60%), Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung (59%). Mit diesen Aspekten der Arbeit hingegen weniger: aktuelle Entlohnung (45%), Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb (33%). Verbessert haben sich im Vergleich zu früheren Beobachtungen der Führungsstil des Vorgesetzten (+6 Prozentpunkte) und die Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung (+4 Prozentpunkte). Verschlechtert haben sich die Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten (-4 Prozentpunkte).

DIE PROGNOSEN: Inflation im 4. Quartal 2022 wieder unter 5 Prozent

Die neue und wahre Gefahr geht von der Inflation aus. Sie hat mittlerweile ein Niveau erreicht, wie man es seit den 1980er Jahren nicht mehr kannte. Dennoch kann man zuversichtlich sein. Zum einen besteht eine berechtigte Hoffnung, dass sich die geopolitischen Spannungen (und somit auch das spekulative Verhalten an den Börsen) zurückbilden. Der zweite Grund ist der sogenannte „Basiseffekt“, der ab Herbst 2022 zum Tragen kommt. Das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren dürfte die Inflation im 4. Quartal 2022 wieder unter die 5%-Marke drücken.

Auch unabhängig vom Inflationsgeschehen gibt es Gründe, zuversichtlich der nahen Zukunft zu begegnen: Für Italiens Wirtschaft läuft es nicht so schlecht. Die weiteren Lockerungen der Kontaktbeschränkungen ab 1. Mai dürften den Konsum und die Urlaubslust beflügeln, zum Vorteil von Italien und auch von Südtirol. Mit Next Generation winken EU-Gelder und die Staatsfinanzen stehen besser da als erwartet. Dank der vergleichsweisen hohen politischen Stabilität in Italien sollte es möglich sein, wichtige Reformen umzusetzen (Justiz, Kataster, Steuern).

Die BIP-Prognose des AFI für 2022 (+3,9%) bewegt sich verglichen mit ASTAT und WIFO am oberen Rand. Eine Neuberechnung erfolgt in 3 Monaten.

Stellungnahme von AFI-Präsident Dieter Mayr

„Aus der Umfrage sehen wir: Das Problem ist nicht der Arbeitsmarkt, sondern es sind die Brieftaschen der Arbeitnehmer. Die Inflationsrate hat in Südtirol im März 7,8% erreicht. Für Personen mit fixem Nominaleinkommen ist dies natürlich ein herber Schlag. Schon vor dem Aufflammen der Inflation im September letzten Jahres haben wir die Lohnfrage gestellt – dies gilt nun in verstärktem Maß. Der Arbeitskräftemangel ist für Südtirol Arbeitnehmer eine Chance, Lohnerhöhungen durchzusetzen und bessere Arbeitsbedingungen einzufordern.“

Stellungnahme von Landesrat Philipp Achammer

„Auf der einen Seite erholt sich Südtirols Arbeitsmarkt weiter von der Pandemie, und für die Zukunft erwarten wir eine relativ stabile Beschäftigungslage. Auf der anderen Seite trübt jedoch die Ukraine-Krise diese positive Stimmung: Hohe Energiekosten und eine allgemeine Unsicherheit belasten Arbeitnehmer genauso wie Unternehmen. Hinzu kommt die aktuelle Herausforderung, Lieferketten zu sichern.“

Die Ergebnisse des AFI-Barometers sind im Internet unter www.afi-ipl.org/afi-barometer einsehbar.

Das AFI-Barometer erscheint viermal im Jahr (Winter, Frühjahr, Sommer, Herbst) und gibt das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft wieder. Die telefonisch geführte Umfrage betrifft 500 Arbeitnehmer und ist für Südtirol repräsentativ. Die nächsten Umfrageergebnisse werden in der zweiten Juli-Hälfte 2022 vorgestellt.

Nähere Informationen erteilen AFI-Direktor Stefan Perini (T. 349 833 4065, stefan.perini@afi-ipl.org) und AFI-Forscher Matteo Antulov (T. 0471 41 88 38, matteo.antulov@afi-ipl.org).

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