Auf der vom AFI und der UNIBZ veranstalteten Tagung zum Internationalen Arbeitsrecht 2016 (IAD) in Bozen spricht heute der in Trient und Bozen lehrende Arbeitsrechtler Matteo Borzaga über die berufliche Weiterbildung in Italien.
AFI: Berufliche Weiterbildung ist heute das Um und Auf in entwickelten Gesellschaften. Welche Antworten gibt eigentlich die italienische Regierung auf diese Notwendigkeit?
Matteo Borzaga: „Herausforderungen der beruflichen Weiterbildung in Italien hängen sicherlich mit allgemeinen Entwicklungen wie der Digitalisierung der Arbeitswelt zusammen, momentan ergeben sich wesentliche Fragen meiner Meinung nach jedoch vor allem aufgrund gesetzgeberischer Entwicklungen, die zuerst durch die Monti-Fornero Reform und dann durch den Jobs Acts angestoßen worden sind.“
AFI: Das heißt, sie sehen den Knackpunkt der Entwicklung beruflicher Weiterbildung in der aktuellen Gesetzgebung?
Matteo Borzaga: „Ja, aber diesen Punkt zu erkennen ist gar nicht so leicht, denn die Regelung des Systems der beruflichen Weiterbildung in Italien ist äußerst vielschichtig. Sie gründet sich zugleich auf verfassungsrechtliche Prinzipien, ordentliche staatliche Gesetzgebung, regionale Gesetzgebung und kollektivvertragliche Bestimmungen. Schon allein die rechtlichen Grundlagen sind nur schwer zu rekonstruieren.“
AFI: Doch Sie unternehmen diesen Versuch?
Matteo Borzaga: Ja, ich werde zumindest die Eckpfeiler klar aufzuzeigen versuchen. Dabei steht für mich die Überlegung im Mittelpunkt, dass es sich bei der beruflichen Weiterbildung um ein subjektives Recht der abhängig Beschäftigten handelt und um eine damit korrespondierende Pflicht des Arbeitgebers.
AFI: Ist denn das gar nicht so sicher?
Matteo Borzaga: „Na ja, wenn man sich sowohl die Monti-Fornero-Reform als auch den so genannten Jobs Act anschaut, dann gehen beide Reformen in Richtung einer Stärkung der beruflichen Weiterbildung. Allerdings haben beide Reformversuche auch einen Haken, und zwar die mögliche Re-Zentralisierung, also die Rücknahme von regionalen Zuständigkeiten. Ob diese eintrifft oder nicht, hängt auch vom Ausgang des Referendums zur Verfassungsreform am 4. Dezember 2016 ab. Eine weitere Schwierigkeit ist sicher die vom Gesetzgeber mehr denn je gewünschte Verknüpfung von beruflicher Weiterbildung und von aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.“
AFI: Was meinen Sie damit?
Matteo Borzaga: „Ich denke, dass die Koppelung beruflicher Weiterbildung und aktiver Arbeitsmarktpolitik die größte Herausforderung für das italienische System darstellt. Das ist kein leichter Weg. Und die entsprechenden Voraussetzungen wurden vom Gesetzgeber bisher auch nicht stimmig gestaltet. Es ist aber so, dass diesem Aspekt eine immer größere Bedeutung zukommt, weil das Arbeitsrecht stärker als früher auf jene setzt, die auf dem Arbeitsmarkt aktiv eine Beschäftigung suchen.“
AFI: Heißt das, dass der Schwerpunkt in Italien auf weiterbildungswillige Arbeitssuchende gelegt wird? Gibt es auch Anreize für die berufliche Weiterbildung innerhalb des Arbeitsverhältnisses?
Matteo Borzaga: „Weiterbildung für Arbeitssuchende ist natürlich sehr wichtig, aber es gibt durchaus auch Anreize für die berufliche Weiterbildung innerhalb des Arbeitsverhältnisses. Die aktuellsten Daten (ISFOL, 2015) zeigen allerdings, dass diese in den größten Betrieben Norditaliens konzentriert und gleichzeitig noch ziemlich traditionell ist, d. h. meistens vorwiegend Themen wie den Arbeitsschutz betrifft. Es wird sicherlich ein stärkeres Engagement brauchen, um die berufliche Weiterbildung im Job auszuweiten bzw. auch die kleineren Betrieben zu involvieren und sie gleichzeitig den Bedürfnissen einer globalisierten, postfordistischen Wirtschaft anzupassen.“
Danke für das Gespräch.
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