29 Agosto 2015

Wie viele Selbständige braucht das Land?

von Stefan Perini ("Wirtschaft Quer")

 

Wer würde es wagen zu behaupten, eine niedrige Selbstständigen-Quote sei für die Wirtschaft in der Regel positiv? Ich tue es.

Sich als selbstständig auszugeben gilt als cool – ja, wer möchte nicht gerne sein eigener Chef sein? Selbstständigkeit – das Wort riecht ja schon förmlich nach Eigeninitiative, Risikobereitschaft und Dynamik. Da ließe sich schon mal schlussfolgern, dass sich Länder mit einem hohen Anteil an Selbstständigen wirtschaftlich positiv hervorheben. Da lohnt ein Blick auf international vergleichbare Daten, zusammengetragen von Eurostat und OECD. Schauen wir also nach, wie stark der Drang zur Selbstständigkeit in den einzelnen Ländern ausgeprägt ist. Die Selbstständigen-Quote beträgt im EU-Schnitt 13,2%. Im einstelligen Bereich liegen die Länder Estland, Lettland und Litauen, Dänemark (7,8%), Österreich und Schweden (beide 9,2%). Am anderen Ende stehen Griechenland (24,6%), Italien (22,5%), Tschechien (17,2%) und Spanien (16,0%). Scheinbar ist in diesen Ländern ein großer Unternehmergeist ausgebrochen – oder gibt es andere Gründe für die hohe Selbständigen-Quote? Zurechtgerückt wird das Bild, wenn man die Selbstständigen in Kombination mit anderen Arbeitsmarktindikatoren betrachtet. Eine erste Antwort liefern die Arbeitslosenzahlen. Tatsächlich sind es die Länder mit hoher Arbeitslosigkeit, die tendenziell auch eine hohe Selbständigen-Quote aufweisen. Hier der Beleg: Griechenland (23,2%), Spanien (20,5%), Italien (12,4%). Nur Tschechien fällt mit einer Arbeitslosenrate von 5,5% aus der Reihe. Will heißen, wer keine Arbeit findet, weil die Wirtschaft nicht genügend Jobs schafft, macht sich selbstständig. Insofern ist die Selbstständigkeit stets mehr „letzter Ausweg, um der Arbeitslosigkeit zu entrinnen“, als wahre Berufung. Mit dem Ergebnis, dass es eine Vielzahl an Ein-Personen-Betrieben, Ich-AG’s, Vertretern, Händlern, Freiberuflern und Dienstleistern gibt, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen. Ob selbständig oder als Arbeitnehmer beschäftigt: aus volkswirtschaftlicher Sicht ist eine hohe Erwerbsbeteiligung entscheidend, sichtbar in der Beschäftigungsquote. Auch hier bestätigt sich, dass die Beteiligung am Arbeitsmarkt gerade in jenen Ländern hoch ist, in denen die Selbstständigen-Quote niedrig ist. Zahlen gefällig? Im Spitzenfeld finden wir Schweden (74,9%), Niederlande (73,9%), Deutschland (73,8%) und Dänemark (72,8%). Am unteren Rand liegen Italien (55,7%), Spanien (56,0%) und Griechenland (49,4%). Fazit: Dort, wo der Arbeitsmarkt funktioniert, ist die Selbstständigen-Quote in der Regel niedrig. Seien wir also froh, wenn die Selbstständigen nicht zu sehr ins Kraut schießen!

 

Dieser Beitrag ist erstmals in der Rubrik “Wirtschaft Quer” in der Printausgabe der Neuen Südtiroler Tageszeitung erschienen

 

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