07. Januar 2017

EU: Jeder sechste Arbeitnehmer ist Niedriglohnempfänger

Stefan Perini ("Wirtschaft Quer")

Alle vier Jahre erhebt das europäische Statistikamt Eurostat die Lohn- und Gehaltsstruktur in den Ländern Europas. Und belegt schwarz auf weiß: Die Unterschiede sind immer noch enorm.

2014 waren 17,2% der Arbeitnehmer in der Europäischen Union Niedriglohnempfänger. Das heißt, ihr Bruttostundenverdienst liegt deutlich unterhalb des mittleren Lohnniveaus in ihrem Land. Technisch gesprochen, zwei Drittel und weniger als der sogenannte Medianverdienst.

Die Eurostat-Verdienststrukturerhebung bezieht sich auf Unternehmen mit mindestens 10 Arbeitnehmern. Nicht mit eingeschlossen sind Auszubildende. Die Erhebung umfasst die gesamte gewerbliche Wirtschaft, also alle wichtigen Makrosektoren mit Ausnahme von Landwirtschaft und öffentlicher Verwaltung. Der Bruttostundenverdienst bezieht sich auf Löhne und Gehälter, inklusive der Zusatzlohnelemente, welche die Arbeitnehmer vor Abzug von Steuern und Sozialabgaben erhalten.

Die Studie zeigt, dass der Anteil an Niedriglohnempfängern in den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr stark variiert. Er ist mit 25,5% in Lettland am höchsten und mit 2,6% in Schweden am niedrigsten. Allgemein ist der Anteil in den osteuropäischen und baltischen Ländern sehr hoch, in den nordeuropäischen und skandinavischen eher gering. Verschiedene Faktoren spielen hier mit ein: das allgemeine Wohlstandsniveau, die Wirtschaftsstruktur, das Bildungsniveau der Erwerbsbevölkerung, die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften, gesetzliche Mindeststundenlohn-Regelungen.

Doch zurück zum Medianverdienst. EU-weit beträgt der mittlere Bruttostundenlohn 13,20 €, in Italien 12,50 €, in Deutschland 15,70 €, in Österreich 14,0 €. Den höchsten mittleren Verdienst hat Dänemark (25,50 €), den niedrigsten Bulgarien (1,70 €). Wie man sieht, variiert der Medien-Bruttostundenverdienst im Verhältnis 1 zu 15 sehr stark in den verschiedenen EU-Ländern. Doch selbst wenn man die Daten um Kaufkraftstandards bereinigt – das heißt die unterschiedlichen Preisniveaus zwischen den einzelnen Ländern berücksichtigt – bleibt die Spreizung noch deutlich, sie sinkt allerdings auf 1 zu 5.

Niedriglohn, das bedeutet in Italien ein Brutto-Stundenverdienst von weniger als 8,30 €, in Deutschland von weniger als 10,50 €, in Österreich von weniger als 9,40 €. Detail am Rande: Die Mindestlohndatenbank der Hans-Böckler-Stiftung gibt darüber Aufschluss, dass es in 22 von 28 EU-Staaten einen gesetzlichen Mindeststundenlohn gibt. In Deutschland wurde 2015 der gesetzliche Mindeststundenlohn von 8,50 € eingeführt. 2017 wird er auf 8,84 € angehoben. In Italien wurde diese Möglichkeit mit dem Jobs Act eröffnet. Doch die Einführung des Mindeststundenlohns scheitert – man mag es kaum glauben – am Widerstand der italienischen Gewerkschaften. Böse Zungen behaupten, mehr als um das Wohl der Arbeitnehmerschaft ginge es ihnen um Einfluss in der Politik und an den Verhandlungstischen.

Zuerst erschienen in „Die Neue Südtiroler Tageszeitung“ vom 6./7. Jänner 2017

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