28. November 2015

Kein Platz im Aufzug

von Stefan Perini ("Wirtschaft Quer")

Im großen Haus der Gesellschaft Platz im Aufzug nach oben zu finden, bleibt für viele Bewohner immer noch ein Traum mit geringen Chancen, wahr zu werden. Aber warum?

65% der Südtiroler Arbeitnehmerschaft ist überzeugt, dass der Unterschied zwischen jenen, die viel haben und jenen, die wenig haben, in erster Linie auf die Herkunftsfamilie und deren Stellung zurückzuführen ist. Nur 35% sehen in den Unterschieden einen Ausdruck von persönlichen Fähigkeiten und Arbeitsleistung. Ist es im Wohlstandsland Südtirol tatsächlich so schlecht bestellt um die Chancen, Platz im sozialen Aufzug zu finden, unabhängig davon in welchem Stockwerk man wohnt, sprich, aus welchem sozialen Umfeld man stammt? Was sagt die Wissenschaft dazu?

Gerade Mitte dieser Woche stellte Professor Wilfried Altzinger von der Wirtschaftsuniversität Wien aktuelle Daten dazu vor. Die gesellschaftliche Stellung bzw. die Ungleichheit sind Ausdruck sowohl der Beziehungen, der Einkommenssituation und dem Bildungsgrad der Eltern, aber auch der Wohlfahrts-, Umverteilungs- und Bildungspolitik der Staaten. Am wirkungsvollsten kann der Staat auf Ungleichheiten einwirken, wenn er mit der Bildung bereits im frühkindlichen Alter ansetzt und wenn er über Steuern verhindert, dass die Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen immer weiter auseinander klafft. Die skandinavischen Staaten sind hier seit Jahrzehnten Vorreiter.

Erstaunlich ist, wie stark der Bildungsgrad der Eltern bereits den der Kinder vorbestimmt: Die Kinder von Eltern mit Universitätsabschluss erreichen selber mit einer Wahrscheinlichkeit von 54% einen akademischen Abschluss. Demgegenüber bringen es Kinder von Eltern mit Vorschulabschluss nur mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 6% zu einem akademischen Abschluss. Bildungsentscheidungen, die Eltern für ihre Kinder treffen, bestimmen ganz stark deren zukünftigen gesellschaftlichen Status. Schon, ob sie sie in einen Kinderhort einschreiben oder nicht. Dasselbe bei Freizeit: Ob es ein Reit-, ein Tennis- oder ein Fußballclub ist, in den Kinder eingeschrieben werden, ist ein großer Unterschied. Hier bildet sich das Netzwerk, in das Kinder hineinwachsen.

In Südtirol dürfte noch etwas zum Tragen kommen. Südtirol hat viele Kleinstbetriebe. Meist sind es Familienbetriebe, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Immer noch sehr häufig wird der Sohn des Anwalts ebenfalls Anwalt, die Tochter der Juwelierin ebenfalls Juwelierin. Berufe werden gewissermaßen vererbt. Diese enge Bindung zur Familie spricht für Kontinuität, ist aber ein Hemmnis für die soziale Durchlässigkeit. Also mit ein Grund, warum der Aufzug nach oben öfter stockt, als es sich für eine gute Hausverwaltung gehörte.

Dieser Beitrag ist in Stefan Perinis samstäglicher Rubrik „Wirtschaft Quer“ in der Printausgabe der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“ erstmals erschienen.

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