20. September 2015

Mysterium Landeshaushalt

Aktion im Landtag zum Tag der Offenen Tür am 5. September 2015 - Foto: Südtiroler Landtag

„Wirtschaft Quer“

In diesen Tagen hat der Landtag den Nachtragshaushalt diskutiert und genehmigt. Den Einblick hat nach wie vor niemand – trotzdem übertreffen sich alle in Besserwisserei.

Nachtragshaushalt und Finanzgesetz. Darum ging es diese Woche im Südtiroler Landtag. Zum einen musste über die Verwendung zusätzlicher Mittel in Höhe von 138 Mio. € befunden, zum anderem sollten über das Finanzgesetz eine Reihe von gesetzlichen Anpassungen vorgenommen werden. Teile der Opposition kritisierten das Finanzgesetz als „Korrekturwerkstatt für mehrere, soeben verabschiedete Landesgesetze“.

Die Mehreinnahmen des Landes von 138 Mio. € kommen durch jenen Teil der Mehrwertsteuer-Einnahmen zustande, die jetzt ans Land statt an die Region gehen, aber auch durch Einnahmen aus der SEL-Beteiligung sowie durch die angezogene Konjunktur, was auch Steuergelder in den Landeshaushalt schwemmt.

Wo es Geld zum Verteilen gibt, weiß ein jeder besser als der andere, wie es auszugeben sei. Dabei hat die Landesregierung schon klare Vorstellungen, was wohin geht: 38 Mio. € in das Gesundheitswesen, 30 Mio. € in die Pflegesicherung, 30 Mio. für den Regionalfonds FUR, 22 Mio. € zur Deckung des ESF-Lochs, 10 Mio. € für die Familien und 8 Mio. € für das Personal. Doch andere wussten es besser: „Steuern senken, statt Geld verschenken“, meinte beispielsweise Andreas Pöder, der dafür plädierte, den gesamte Spielraum für Steuerentlastungen zu nutzen. Hans Heiss hielt es dagegen für sinnvoller, die zusätzlichen Mittel für die Pflegesicherung und die Sanität einzusetzen. Steuerliche Entlastungen herbeiführen oder den Wohlfahrtsstaat stärken, das war denn auch der Kern der Debatte – mit den verschiedensten Varianten an Zwischenlösungen.

Als Wirtschaftswissenschaftler bin ich erstaunt. Erstaunt vor allem über den Durchblick, den unsere Politiker offensichtlich über den Landeshaushalt haben. Offensichtich kennt jeder die Dotierung der einzelnen Kapitel und ist eingehend informiert über Ausmaß und Güte der Verwendung der Gelder in den einzelnen Bereichen. Das erachte ich nämlich als Voraussetzung, um beurteilen zu können, wo Kürzungen angebracht, Umschichtungen sinnvoll und Aufstockungen möglich sind.

Hand aufs Herz. Über die öffentlichen Budgets wissen wir alle zu wenig: die Landespolitiker, die Wirtschaftswissenschaftler, die Wirtschaftsjournalisten. Ich plädiere für die einzige sinnvolle Investition: jene in die Verbesserung der Datenlage. Wir brauchen einen besseren Überblick über die Dotierung der einzelnen Ausgabekapitel – aber nicht nur. Die einzelnen Geldtöpfe müssen systematisch einer Durchleuchtung unterzogen werden um zu prüfen, inwiefern die beabsichtigten gesellschaftlichen Ziele erreicht werden. Solange wir nicht die Datenlage verbessern und die Güte der Mittelverwendung prüfen, werden die Beschlussanträge im Landtag auf dem Niveau von Wunschlisten, die Statements auf dem Niveau von Sonntagsreden bleiben.

Stefan Perini

Direktor AFI | Arbeitsförderungsinstitut

Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der Neuen Südtiroler Tageszeitung vom 19./20. September 2015

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