22. August 2015

Neues Wohnen – altes Fördern

von Stefan Perini ("Wirtschaft Quer")

Die Bedürfnisse rund ums Wohnen sind heute grundlegend anders als vor 40 Jahren. Dem muss auch die Wohnbauförderung Rechnung tragen. Allerdings, erst nach eingehender Evaluation.

Die aktuelle Zeit steht im Zeichen der Reformen. Reformen am Arbeitsmarkt, am Bildungssystem und am sozialen Abfederungssystem sind eingeleitet. Spätestens 2017 soll Südtirol eine weitere Reform erleben, nämlich jene der Wohnbauförderung.

Die Wohnbauförderung, die bis dato gilt, hat vielen Südtiroler Familien eine hohe Lebensqualität beschert. Wer sich ein Eigenheim nicht aus eigener Kraft leisten konnte, konnte entweder auf eine finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand oder auf eine Sozialwohnung zählen. Das „alte“ System basiert auf Prämissen, die vor mehr als einer Generation durchaus Standard waren: ein hoher Anteil an „geregelten“ Familien, lineare Lebens- und Erwerbsbiografien, eine stark territorial verwurzelte Bevölkerung. „Jeder Familie ihr Eigenheim“: Zu Recht hatte es die Landesregierung damals als höchstes soziales Gut angesehen, dieses Prinzip zu verfolgen.

Doch das Umfeld hat sich grundlegend gewandelt. Geändert hat sich einerseits die Nachfrage: Mittlerweile scheitert in Südtirol jede vierte Ehe, viele Lebenspartnerschaften erfolgen „lose“, es mehrt sich die Zahl an Patchwork-Familien. Die Lebens- und Erwerbsbiografien werden brüchiger: Dass im Laufe des Lebens mehrere Berufe und Standorte gewechselt werden, ist keine Seltenheit mehr. Der Begriff Lebenspartner ist dem Begriff Lebensabschnittspartner gewichen. Die Lebenserwartung ist heute deutlich höher als noch vor 40 Jahren, die durchschnittliche Zahl an Kindern pro Familie geringer.

Aber auch auf der Angebotsseite haben sich die Gegebenheiten geändert: Baugrund ist knapp und teuer, der Neubau weicht der Sanierung, die Preise der Immobilien sind, insbesondere in Premium-Lagen, für Normalverdiener kaum erschwinglich. Gemäß der neuen politischen Orientierung wird von den Mitbürgern ein gewisses Maß an Eigenverantwortung eingefordert. Dies schließt mit ein, dass bereits im frühen Erwerbsalter die Basis für die eigene Zusatzvorsorge gelegt wird – Fondmittel, die in einem zweiten Moment für das Bausparen verwendet werden können. Aus der Zukunftsforschung heißt es, das Prinzip „besitzen“ werde schrittweise dem Prinzip „nutzen“ weichen. So wird das Eigentums-Auto nach und nach dem Car-Sharing weichen, der Wohnungsbesitz der Wohnungsnutzung.

Eine zeitgemäße Wohnbau- und Wohnbauförderungspolitik darf die neuen Bedürfnisse von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nicht ausklammern. Doch ist es wichtig, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Vielmehr geht es darum, die allgemein erfolgreiche Wohnbauförderung der vergangenen Jahrzehnte zukunftsfest zu machen. Ähnlich wie für die Raumordnung sollte man sich auch für die Wohnbauförderung die notwendige Zeit einräumen, um 2017 ein intelligentes Wohnbauförderungsgesetz schnüren zu können.

Dieser Beitrag ist erstmals in der Rubrik „Wirtschaft Quer“ in der Printausgabe der Neuen Südtiroler Tageszeitung erschienen

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