06. November 2023

Südtirols Arbeitnehmer durchleben Wechselbad der Gefühle

AFI-Barometer

Im Herbst präsentiert sich die Zwischenbilanz 2023 für Südtirols Wirtschaft durchwachsen. Positives zu berichten gibt es mit Blick auf Arbeitsmarkt, Tourismus und Inflation. Andererseits zeigt sich die Kreditdynamik mit Juli erstmals rückläufig und Südtirols Außenhandel schwächelt. In der Herbst-Umfrage des AFI-Barometers zeigen sechs von sieben Stimmungsindikatoren nach unten – einige mehr, andere weniger. Dazu AFI-Direktor Stefan Perini: „Die Stimmung bei Südtirols Arbeitnehmern ist aktuell schlechter als die Lage – Ausdruck einer allgemeinen starken Verunsicherung.“

Im Herbst 2023 bleiben die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft verhalten. Die Weltwirtschaft expandiert sowohl 2023 als auch 2024 nur moderat. Die Investitionstätigkeit bleibt in Europa kraftlos. Mitgrund dafür sind die steigenden Zinsen, die von der EZB seit Juli 2022 in mehreren Schritten um insgesamt 4,5 Prozentpunkte angehoben worden sind. Andere Rahmenbedingungen wiederum haben sich verbessert: Die Lieferkettenprobleme sind zwischenzeitlich überwunden, die Inflation bildet sich zurück, die Arbeitslosenraten in den Ländern der EU sind auf historische Tiefstniveaus abgesunken. 2024 soll schließlich die Zinswende kommen.

Und doch: Die Verschärfung geopolitischer Spannungen könnte das Szenario augenblicklich verändern, mit massiven Auswirkungen auf die Versorgungslage, dem Wiedereintreten von Lieferengpässen und einem Wiederaufflammen der Energiepreise. Die Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2023 von ifW u.a. schätzt für 2023 folgende Wachstumsraten: Euroraum +0,5%, Deutschland -0,3%, Österreich +0,1%, Italien +0,6%. 2024 soll es dann mit etwas gesteigertem Tempo weitergehen (Euroraum +0,9%, Deutschland +0,7%, Österreich +1,3%, Italien +0,9%).

DIE ECKZAHLEN: 2023 vorwiegend positiv, mit ersten „Ermüdungserscheinungen“

Die Zwischenbilanz 2023 ist für Südtirols Wirtschaft in Summe zufriedenstellend, zeigt aber bereits erste „Ermüdungserscheinungen“.

Der Arbeitsmarkt zeigt sich noch solide, mit einer positiven Beschäftigungsdynamik in den ersten neun Jahresmonaten (+2,0%) und einer Arbeitslosenrate auf Niedrigstniveau (1,3%). Der Tourismus blickt auf ein gutes Zwischenergebnis zurück (Zeitraum Jan – Aug, +6,8% an Nächtigungen zum Vorjahr). Die Inflation bildet sich stark zurück – sie lag im September in Bozen bei 4,7%. Auffällig: Seit Juli 2023 bleibt die Inflationsrate in Bozen unter der gesamtstaatlichen.

Doch die Signale einer konjunkturellen Abschwächung sind nicht zu verkennen: Im 2. Quartal 2023 schwächelte der Südtiroler Außenhandel. Das Kreditvolumen zeigte sich im Juli erstmals rückläufig (-0,3% im Vorjahresvergleich), vor allem bei den Unternehmen (-1,1%). Und dass die positive Beschäftigungsdynamik noch lange Zeit anhält, gilt alles andere als sicher.

DIE STIMMUNG: Negative Signale überwiegen

Zunächst eine Auffälligkeit: Seit der Corona-Pandemie schlagen die Stimmungsindikatoren des AFI-Barometers stärker nach unten und nach oben aus als dies in den zehn Jahren zuvor der Fall war. Südtirols Arbeitnehmer durchleben in den letzten drei Jahren sprichwörtlich ein „Wechselbad der Gefühle“.

So verwundert es auch nicht, dass sich die Aussichten, was die Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft in den nächsten zwölf Monaten anbelangt, wieder verschlechtert haben (aktueller Indexwert: +2). Die Arbeitslosenzahlen dürften stabil bleiben. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, ist so gut wie nicht präsent. Parallel dazu haben sich die Perspektiven für Arbeitnehmer:innen, einen gleichwertigen Job zu finden, zum zweiten Mal deutlich eingetrübt, was – wenn in der nächsten Umfrage bestätigt – eine Abschwächung der Beschäftigungsdynamik anzeigen würde.

Problem Nummer eins bleiben die klammen Kassen der Arbeitnehmerfamilien. 37% der Arbeitnehmer:innen geben an, nur mit Schwierigkeiten über die Runden zu kommen, weil das Geld nicht bis ans Monatsende reicht. Die Lage bleibt hier angespannt (Indexwert: -10). Zu den Sparmöglichkeiten: 48% der Befragten gehen davon aus, in den nächsten zwölf Monaten Geld auf die hohe Kante legen zu können, während 52% angeben, dass dies nicht möglich sein wird.

DIE AUSSICHTEN: Auch 2024 moderates Wachstum für Südtirols Wirtschaft

Eine Reihe von Rahmenbedingungen bleiben für die Südtiroler Wirtschaft auch 2024 günstig: der Lohn-Schub im öffentlichen Dienst führt den Betroffenen Kaufkraft zu und treibt das Schwungrad der Löhne in Südtirol wieder an. Die sinkende Inflation knabbert in geringerem Maße Kaufkraft und Erspartes an. Die Perspektiven für den Tourismus bleiben gut. Der solide Arbeitsmarkt ist ein Garant für Stabilität.

Eine steigende Zahl an Faktoren ist allerdings für Südtirol als problematisch zu werten: Die Wachstumsimpulse aus dem Ausland werden nachlassen, und damit auch Südtirols Außenhandelsgeschäft. Die hohen Zinsen bremsen die Investitionstätigkeit von Unternehmen und schrecken Häuslebauer ab, was sich in einer rückläufigen Kreditdynamik ausdrücken wird. Aufgrund der schleppenden Auftragslage dürfte das eine oder andere Unternehmen seine Personalaufnahmepläne nach unten revidieren.

Für 2024 prognostiziert das AFI ein Wirtschaftswachstum für die Südtiroler Wirtschaft von +1,0%. Südtirols Wirtschaft wächst auch 2024 nur moderat, schlittert aber auch nicht in eine Rezession.

 

Stellungnahme von AFI-Präsident Andreas Dorigoni

Südtirols Arbeitnehmer durchleben seit Ausbruch der Corona-Pandemie ein Wechselbad der Gefühle. Dies erschließt sich ganz klar aus der Langzeitbetrachtung der Stimmungsindikatoren und ist Ausdruck einer erhöhten allgemeinen Verunsicherung.

 

Stellungnahme von Arbeits-Landesrat Philipp Achammer

Die vergangenen Jahre waren geprägt von Krisen, die weltweit Spuren hinterlassen haben. Doch wenn man Bilanz zieht und die Entwicklung Südtirols analysiert, stellen wir fest, dass sich unsere Wirtschaft gut geschlagen hat. Es ist dies eine Gemeinschaftsleistung von Arbeitnehmern, Unternehmen und Sozialpartnern, die ich an dieser Stelle wertschätzend hervorheben möchte.

 

Zur Pressemitteilung

Grafik 1

Grafik 2

 

Das AFI-Barometer wird viermal im Jahr erhoben (Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter) und gibt das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft wieder. Die Erhebung erfolgt über eine telefonische Umfrage bei 500 Südtiroler Arbeitnehmer:innen und ist für Südtirol repräsentativ. Die nächsten Umfrageergebnisse werden in der zweiten Jänner-Hälfte 2024 vorgestellt.

 Nähere Informationen erteilen AFI-Direktor Stefan Perini (T. 0471 41 88 30, M. 349 833 40 65, stefan.perini@afi-ipl.org) oder AFI-Forscherin Maria Elena Iarossi (T. 0471 41 88 40, maria-elena.iarossi@afi-ipl.org).

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