06. März 2016

Über Grenzen zu mehr Lebensqualität

von/di Stefan Perini
Shopping in Gewerbegebieten, offene Geschäfte rund um die Uhr: Der Handel hat im letzten Jahrzehnt eine übertriebene Deregulierung erfahren. Für die Arbeitnehmer heißt das meist schlechtere Vertragsformen und ungünstigere Arbeitszeiten.

Nach dem Verwaltungspersonal des Verwaltungsgerichts schickt sich die Landespolitik an, eine weitere wichtige Zuständigkeit nach Südtirol zu holen: den Handel. Stark und seit Langem wehren sich die heimischen Interessensverbände gegen die übermäßige Liberalisierung, die nach EU-Richtlinien vor allem von Ministerpräsident Mario Monti durchgezogen wurde (mit dem Dekret „Salva-Italia“ hat Rom im November 2011 die vollständige Liberalisierung der Öffnungszeiten im Einzelhandel beschlossen). Nun aber sollen in der Sechserkommission Wege ausgelotet werden, die den Provinzen Bozen und Trient Ausnahmen vor allem beim Handel in den Gewerbezonen und den Öffnungszeiten der Geschäfte erlauben.

Einschränken oder liberalisieren? In kaum einen anderen Wirtschaftssektor ist diese Frage gesellschaftlich so umstritten wie im Handel. Das AFI-Barometer hat im Sommer 2014 Südtirols Arbeitnehmer gefragt, was sie von der Sonntagsöffnung der Geschäfte halten. Zu beachten ist, dass Arbeitnehmer in dieser Frage auch als Konsumenten antworten. Knapp zwei Drittel (65%) der Südtiroler Arbeitnehmer sind prinzipiell gegen die Sonntagsöffnung, 17% ist es gleichgültig, 18% sind dafür. Auf die Frage, ob sie selbst sonntags einkaufen gehen, antworten 59% der Befragten, dass sie dies nie tun. Am Sonntag einkaufen gehen 23% selten, 14% manchmal, 4% oft. Südtirols Arbeitnehmer sind konsequent: Wer gegen die Sonntagsöffnung ist, kauft sonntags auch nicht ein. Mehrheitlich meinen Südtirols Arbeitnehmer, dass ständige Sonntagsarbeit das Familien- und Privatleben belaste: 65% würden es als eher große oder sehr große Belastung empfinden. Die restlichen 35% sehen es weniger problematisch.

Auch im Handel ist es, wie so oft, eine Gratwanderung. Einerseits wünscht sich der Konsument ein großes Angebot und kundenfreundliche Öffnungszeiten, bedingt gerade dadurch, dass heute immer häufiger in Familien beide Partner berufstätig sind. Andererseits muss die Einsicht einkehren, dass sich die moderne Gesellschaft selbst Grenzen setzen muss, will man vermeiden, dass Familienleben und zwischenmenschliche Beziehungen unter die Räder kommen. Grenzen als Basis für mehr Lebensqualität: Dieser Leitsatz soll die Einstellung künftiger Generationen prägen.

Freie Marktwirtschaft stützt sich auf den Wettbewerb. Das heißt allerdings nicht, dass es keine Regeln braucht. Im Gegenteil: Klare Regeln sind die Grundlage, auf der sich der freie Wettbewerb entfalten kann. Das wird von Vielen missverstanden.

 

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