03. Dezember 2017

Vereinbarkeit neu denken

Stefan Perini ("Wirtschaft Quer")

Wie gelingt es am besten, Arbeit und Privatleben miteinander zu vereinen? Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes fördert Überraschendes zutage.

Die sogenannte Work-Life-Balance steht in der arbeitspolitischen Debatte unverändert hoch im Kurs. In Deutschland will das Konzept „Gute Arbeit“ Erwerbsarbeit, Familie und Privatleben ins Gleichgewicht bringen. Jahrelang glaubte man zu wissen, wie das geht. Teilzeitarbeit und Telearbeit hießen die Zauberworte. Doch alles ist etwas komplexer als angenommen.

Das zeigt der DGB-Index „Gute Arbeit“: Im Report 2017 wurde von Arbeitnehmern bewertet, was die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben behindert und was sie fördert. Das Hauptergebnis: Erschöpfung ist ein größeres Hindernis als der Mangel an Zeit. 41% der Beschäftigten geben an, nach der Arbeit sehr häufig oder oft zu müde zu sein, um sich noch um private oder familiäre Angelegenheiten kümmern zu können.

Zur Risikokategorie von erschöpfungsbedingten Vereinbarungsschwierigkeiten zählt, wer stets eine herablassende Behandlung erfährt, wer sich Sorgen um den Arbeitsplatz machen muss und wer Konflikten und Streitigkeiten mit der Kundschaft ausgesetzt ist. In 27% der Fälle – also zu einem geringeren Teil – gibt es Vereinbarungsschwierigkeiten wegen zeitlicher Probleme. Hier ist besonders gefährdet, wer am Abend, nachts, am Wochenende, oder insgesamt mehr als 48 Stunden pro Woche arbeitet oder ständig erreichbar sein muss.

Insbesondere die ständige Erreichbarkeit wird in jüngeren Studien immer stärker als negative Erscheinung thematisiert. Schafft die Digitalisierung einerseits die Möglichkeiten, ortsungebunden zu arbeiten (z.B. durch Telearbeit), ebnet sie gleichzeitig den Weg für die sogenannte „Entgrenzung“ der Arbeit. Diese tritt ein, wenn die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Erholungszeit nach und nach verschwimmen. Ambivalent sehen das auch die Befragten: Bedeutet Arbeiten von zu Hause aus für die einen eine Arbeitserleichterung, ist sie für die anderen eine Notstandmaßnahme.

„Teilzeit- und Telearbeit sind keine Erfolgsgarantie,
um die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben zu verbessern“

Der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) kommt zum Schluss, Arbeiten von zuhause aus sei derzeit mit erhöhten Vereinbarungsschwierigkeiten verbunden. Die Arbeitnehmer sind sich voll im Klaren, was der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben am besten nutzen würde: Entscheidend ist, dass der eigene Arbeitstag eine Grenze hat und dass er im Regelfall acht Stunden nicht überschreitet.

Erstmals veröffentlicht in „Die Neue Südtiroler Tageszeitung“ vom 2. Dezember 2017

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