29 Ottobre 2017

Also lieber ungleich?

Stefan Perini ("Wirtschaft Quer")

In den letzten 700 Jahren ist die wirtschaftliche Ungleichheit ständig gestiegen, mit zwei Ausnahmen: Nach der Pest von 1348 und nach den beiden Weltkriegen. Muss uns das Sorge bereiten?

Das Thema wirtschaftliche Ungleichheit ist heute hochaktuell. Wie aber schaut es im langen Zeitraum aus? Darauf antwortet das Projekt EINITE 1300-1800 (Economic Inequality Across Italy And Europe) der Mailänder Universität Bocconi. Es verfolgt die „Geschichte der Ungleichheit“ bis ins Jahr 1300 zurück. Dank der einmaligen historischen Quellen befindet sich Italien hier in einer besonders glücklichen Situation. Die Studienergebnisse liefern nicht wenige Überraschungen.

Schon zu Beginn des Untersuchungszeitraums ab 1300 stieg die wirtschaftliche Ungleichheit an. Die Pest, die in Europa in den Jahren 1347-52 wütete und die Hälfte der europäischen Bevölkerung dahinraffte, hatte aus wirtschaftlicher Sicht eine stark „ausgleichende“ Wirkung. Das knappere Arbeitskräfteangebot ließ die Reallöhne stiegen und ein größerer Teil der Bevölkerung hatte nun Zugang zu Privatbesitz. Die Wissenschaftler der Bocconi errechnen, dass die „Oberen 10%“ in kurzer Zeit bis zu 15-20% ihres Reichtums verloren. Die Fehler im „Ancien Régime“ vor der Französischen Revolution von 1789 waren die umgekehrt progressive Besteuerung (Bauern zahlten im Verhältnis mehr als Adelige) und dass die Steuereinkünfte eher fürs Kriegsführen und für den Prunk der Adelsgesellschaft eingesetzt wurden.

Die Geschichte der Ungleichheit erreicht einen Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg, als die „Oberen 10%“ über 90% des Reichtums verfügten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Abstand zwischen Armen und Reichen auf den Mindeststand des 20. Jahrhunderts abgesunken. Das blieb dank des Ausbaus der Wohlfahrtssysteme mehrere Jahrzehnte so. Erst in den 1980er Jahren stieg die Ungleichheit wieder an. Allerdings sind wir heute noch weit entfernt von den Höchstständen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

„Seuchen und Kriege waren stets eine Katharsis gesellschaftlicher Ungleichheiten“

Grund zum Verzagen? Nicht wirklich. Erstens wiederholt sich die Geschichte nicht leicht auf dieselbe Art und Weise. Zum Zweiten hat sich mit Aufkommen des Wohlfahrtsstaats die Idee der Umverteilung der Wirtschaftsleistung etabliert. Drittens klammert die Studie etwas aus, das entscheidend ist. In allen diesen 700 Jahren hat der technologische Fortschritt zu einem gewaltigen Anstieg der Produktionsleistung geführt. Wenn der Kuchen größer wird, lässt sich ein gewisses Maß an Ungleichheit leichter ertragen. Von den materiellen Möglichkeiten her lebt heute jeder Durchschnittsbürger besser als jeder Graf im Mittelalter.

Prima pubblicato in “Die Neue Südtiroler Tageszeitung”, edizione del 28 ottobre 2017

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