20. April 2023

Energiepreisschock überwunden, Verteilungs-krise bleibt

AFI-Barometer – Frühjahr 2023

Das internationale wirtschaftliche Umfeld ist aktuell günstiger als noch vor drei Monaten – das Rezessionsszenario für Europa scheint also vorerst abgewendet. Mit Blick auf die nächsten 12 Monate erwarten Südtirols Arbeitnehmer/Innen eine insgesamt positive Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft. Die Situation am Arbeitsmarkt bleibt günstig. Sorgen bereitet die Inflation, die zwar auch in Bozen zeitverzögert sinkt, doch nach 9,7% im Jahr 2022 heuer immer noch 6 bis 7% betragen dürfte. „Der kumulierte Effekt der Inflation in den Jahren 2022 und 2023 führt dazu, dass lohnabhängig Beschäftigte um ein Sechstel ärmer sind als 2021“, zieht AFI-Direktor Stefan Perini Bilanz. „Den Energiepreisschock werden wir vielleicht in einigen Wochen überwunden haben, die Verteilungskrise bleibt uns erhalten“.

Im April 2023 scheint das Rezessionsszenario, das sich noch vor 3 Monaten für die europäische und insbesondere für die deutsche Wirtschaft abzeichnete, fürs Erste abgewendet: Die Preise der Energieprodukte sind in den letzten Wochen deutlich gesunken. Die Lieferengpässe lösen sich nach und nach auf, was auf Chinas Null-Covid-Politik zurückzuführen ist: Dessen Werften arbeiten nun wieder im Normalbetrieb und der Lieferrückstau ist in der Folge weitgehend behoben worden.

Die Straffung der Zinspolitik (EZB-Leitzinssatz: +3,5 Prozentpunkte in nur 9 Monaten!) hat nicht nur die Investitionsbereitschaft der Unternehmen eingedämmt, sondern auch die Zinslast und damit die Baukreditraten für viele Häuslebauer nach oben getrieben. Die Schieflagen im Bankensystem forderten erste Opfer (Silicon Valley Bank bzw. Credit Suisse). Der Internationale Währungsfonds IMF rechnet mit folgenden Wirtschaftswachstumsraten für 2023: Euroraum: +0,8%; Deutschland: -0,1%; Österreich: +0,4%; Italien: +0,7%.

BILANZ 2022: Alles paletti – ausgenommen Inflation

Die Endbilanz 2022 für Südtirols Wirtschaft kann als sehr gut bezeichnet werden: Die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten ist gegenüber 2021 stark angestiegen (+4,9% im Jahresschnitt) und erreichte einen neuen historischen Höchststand (221.200 im Jahresschnitt). Die Arbeitslosenrate blieb mit 2,3% niedrig. Südtirols Außenhandel legte kräftig zu (Exporte: +16,2%, Importe: +31,8%). Die touristischen Nächtigungen haben sogar das Vorkrisenniveau getoppt (+2,1% zu 2019; +44,7% zu 2021). Das wahre Problem ist die Inflation, die sich im Jahresschnitt 2022 in Bozen auf 9,7% beläuft. Zwar bildet sich diese nach dem Höchststand von 12,5% im Dezember 2022 wieder schrittweise zurück – trotzdem ist auch für Südtirol, in Anlehnung an die Prognosen internationaler Forschungsinstitute, 2023 mit einer Jahresinflationsrate zwischen 6 und 7% zu rechnen.

DIE STIMMUNG: Wieder mehr Zuversicht unter den Arbeitnehmern

Die Stimmung unter Südtirols Arbeitnehmern hellt sich wieder auf. Mit Blick auf die nächsten 12 Monate erwarten Südtirols Arbeitnehmer mehrheitlich eine positive Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft. Die Arbeitslosenzahlen dürften leicht abnehmen. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, wird nach wie vor mit „moderat“ bewertet. Die Perspektiven, im Bedarfsfall einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden, stehen so gut wie nie zuvor. Die Fähigkeit der Arbeitnehmer, mit dem Einkommen ein Auskommen zu finden, verbessern sich leicht, allerdings vom niedrigsten Niveau aus, das jemals vom AFI in diesen 10 Jahren erhoben wurde. Aktuell geben 30% der Arbeitnehmer an, dass der Haushalt nur mit Schwierigkeiten über die Runden kommt. Zur Sparfähigkeit: Nur 48% geben an, in den nächsten Monaten Geld sparen zu können – den anderen 52% wird dies nicht möglich sein.

DIE PROGNOSEN: Für 2023 +0,7% BIP-Wachstum für Südtirols Wirtschaft

Das konjunkturelle internationale Umfeld präsentiert sich für Südtirol heute günstiger, als dies noch vor 3 Monaten der Fall war. In Deutschland spricht man inzwischen nicht mehr von Rezession, sondern nur mehr von Stagnation. Auch die Stimmung unter Südtirols Arbeitnehmern ist wieder etwas besser als noch im Vorquartal. Positiv anzumerken ist, dass die Kreditdynamik in Südtirol im Unterschied zu anderen Ländern noch nicht eingebrochen ist – was angesichts der deutlichen Zinsstraffung überrascht. Angesichts des positiveren Gesamtbildes hebt das AFI seine BIP-Prognose für die Südtiroler Wirtschaft im Jahr 2023 auf +0,7% an.

Doch es gibt auch Schattenseiten: Die deutliche Teuerung der Verbraucherpreise hat zu einer massiven Erosion von Kaufkraft und von Sparvermögen geführt. Der kombinierte Effekt der Inflationsraten von 2022 (9,7%) und 2023 (Schätzungen zufolge zwischen 6 und 7%) führt dazu, dass Lohnabhängige Ende 2023 ein Sechstel weniger Kaufkraft haben werden als noch 2021. Dass der Privatkonsum früher oder später einbrechen wird, ist eine logische Folge. Zudem lässt die steigende Zinslast bei Kreditnehmern einen weiteren Teil des verfügbaren Haushaltseinkommens bröckeln. Das Risiko der Verarmung für einen wachsenden Teil der Südtiroler Bevölkerung ist gegeben. Südtirol hat den Energiepreisschock vielleicht hinter sich gelassen, schlittert aber angesichts übertriebener Lohnzurückhaltung in eine Verteilungskrise.

 

Stellungnahme von AFI-Präsident Andreas Dorigoni:

„Der Umstand, dass sich die Inflationsrate zurückbildet, darf uns nicht täuschen. Der kumulierte Effekt der Inflationsraten 2022 und 2023 führt dazu, dass die Südtiroler Verbraucher in nur 2 Jahren ein Sechstel an Kaufkraft verloren haben. Die Lohnforderungen, die wir als Gewerkschaften in diesen Monaten stellen, sind mehr als berechtigt und absolut notwendig.“

 

Stellungnahme von Landesrat Philipp Achammer:

„Die Südtiroler Wirtschaft läuft besser als dies noch vor einigen Monaten den Anschein hatte: die Gäste in der Wintersaison sind nicht ausgeblieben und der Energiepreisschock konnte wirksam abgefedert werden. Doch wir dürfen die langfristigen Herausforderungen nicht aus den Augen verlieren. Was die arbeitsmarktpolitischen Zielmarken anbelangt, die sich die Landesregierung 2020-2024 gesetzt hat, gilt es dranzubleiben.“

 

Grafik 1: Erwartete Entwicklung der wirtschaftlichen Situation Suedtirols
Grafik 2: Aktuelle Fähigkeit mit dem Lohn ueber die Runden zu kommen

 

Die Ergebnisse des AFI-Barometers sind im Internet unter www.afi-ipl.org/afi-barometer einsehbar.

Das AFI-Barometer erscheint viermal im Jahr (Winter, Frühjahr, Sommer, Herbst) und gibt das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft wieder. Die telefonisch geführte Umfrage betrifft 500 Arbeitnehmer und ist für Südtirol repräsentativ. Die nächsten Umfrageergebnisse werden in der zweiten Jänner-Hälfte 2023 vorgestellt.

Nähere Informationen erteilt AFI-Direktor Stefan Perini (T. 0471 41 88 30 oder M. 349 833 4065, stefan.perini@afi-ipl.org).

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